Genossenschaften

Die Erfolgsgeschichte der landwirtschaftlichen Genossenschaften in Österreich kann nicht erzählt werden, ohne diesen Pionier aus dem Westerwald in den Blick zu nehmen: Friedrich Wilhelm Raiffeisens - ein Gestalter des Wandels in der Landwirtschaft

Der Pionier Friedrich Wilhelm Raiffeisen

Die Erfolgsgeschichte der landwirtschaftlichen Genossenschaften in Österreich ist eng mit Friedrich Wilhelm Raiffeisen verbunden, einem Pionier aus dem Westerwald. Im 19. Jahrhundert erkannte Raiffeisen die Notlage der Bauern und sah die Notwendigkeit eines Wandels, um ihre Zukunft zu sichern. Den nach der „Bauernbefreiung“ auf sich allein gestellten Bauern fehlte die Anschlussmöglichkeit an die dynamischen Entwicklungen der Wirtschaft ihrer Zeit. Es fehlten ihnen z.B. Verkehrsverbindungen, um ihre Waren in den großen Städten anbieten zu können – Raiffeisen schuf solche neue Straßen und Wege. Entscheidend fehlte es den Bauern damals jedoch an den Mitteln, die Produktivität ihrer Betriebe auf ein völlig neues Niveau zu steigern. Dazu brauchten sie Knowhow und Kapital. Kapital, um in Maschinen, Geräte und Betriebsmittel etc. investieren zu können, und Knowhow, um die besten Optionen und Methoden auszuloten, die sich ihnen für ihre Betriebsführung in ihrer jeweils konkreten Situation boten, um erfolgreich zu sein.

Doch wer war bereit, den Bauern Kredit zu geben? Die großen Banken in den Städten sicherlich nicht. Sie mussten sich also irgendwie selbst helfen. Sie, die kleinen Bauern in den armen und vergessenen Regionen Deutschlands. Raiffeisen erkannte, dass ganz neue Wege einer nachhaltigen Zusammenarbeit gefragt waren, die den einzelnen Bauern, als seine „verlängerte Werkbank“ unterstützen konnten. Das alles sowohl im Geist der christlichen Nächstenliebe als auch nach klaren ökonomischen Zielsetzungen. Sein Motto „Was einer allein nicht schafft, das schaffen viele“ symbolisierte seine Idee der Zusammenarbeit. Eine Idee, die schon sehr bald bis nach Österreich drang.

"Was einer allein nicht schafft, das schaffen viele."

Vorausschauend schickte der Niederösterreichische Landtag nach einem positiven Beschluss vom 26. November 1885 (nach einem Antrag von Dr. Josef Ritter Mitscha von Märheim) eine „Fact-finding-Mission“ zu Vater Raiffeisen, um zu klären, ob dieser Aufbruch, der in Deutschland zu spüren war, auch für Osterreich Potenzial hätte. Deren Bericht führte zur Gründung der ersten Raiffeisenkasse in Mühldorf/Spitz am 4. Dezember 1886 und einer Lagerhausgenossenschaften in Pöchlarn am 20. Juni 1898. Diese Bewegung breitete sich schnell aus und führte zur Entstehung vieler weiterer Genossenschaften.

Herausforderungen und Erfolge bis 1945

Die Genossenschaften hatten Höhen und Tiefen zu überwinden, insbesondere während dem Ersten Weltkrieg bis 1938. Trotz Inflation und wirtschaftlicher Turbulenzen konnten sie sich behaupten. Nach dem Anschluss Österreichs wurden die Genossenschaften umgebaut, die meisten Verantwortungsträger ihrer Funktion enthoben und eine Eingliederung in den Reichsnährstand verfügt, was das Ende der genossenschaftlichen Demokratie bedeutete. Nach den umfassenden Zerstörungen durch den Krieg war auch für die Genossenschaften eine Stunde Null gekommen, die – mit höchster Kraftanstrengung gerade im Bereich der Nahrungsmittelbeschaffung für die notleidende Bevölkerung – sehr gut genutzt wurde.

Modernisierung nach 1945

Nach 1945 mussten die Genossenschaften viel Aufräumarbeit leisten, stabilisierten sich aber schnell wieder. Die neuen Zeiten brauchten neue Lösungen. Einzelne Genossenschaftssparten begannen zu boomen, während sich andere - langsam aber sicher - überlebt hatten. Während z.B. die Milchgenossenschaften, deren Sinn und Zweck in der gemeinsamen Milchsammlung und -kühlung bestand, durch den Größenwandel der Milchbetriebe überflüssig wurden und ihren Betrieb sukzessive einstellten, begannen sich in den 1990er-Jahren neue Genossenschaften, wie die Fernwärmegenossenschaften, zu entwickeln Einige Sparten wie die Raiffeisenbanken und Lagerhausgenossenschaften erlebten trotz eines Rückgangs der Anzahl einen enormen Geschäftszuwachs, wie die Bilanzsummen zeigen.

Strukturwandel der Genossenschaften

Die Genossenschaften haben sich stark weiterentwickelt. Sie reichen von kleinen Weidegenossenschaften bis hin zu großen Lagerhausgenossenschaften und Raiffeisenbanken mit vielen tausend Mitgliedern. Fusionen und Erweiterungen sind oft notwendig, um mit den wirtschaftlichen Veränderungen Schritt zu halten.

Genossenschaftsrevision

F. W. Raiffeisen erkannte früh die Notwendigkeit einer externen Kontrolle der Genossenschaften. Die Stunde der Genossenschaftsrevision, die den Auftrag hat,
die Rechtmäßigkeit der Geschäftsführung zu prüfen, festzustellen, ob die gesetzten Ziele auch erreicht wurden sowie um standardisierte Abwicklungen zu fördern und die vor allem daran mitwirken soll, ein Scheitern der einzelnen Genossenschaft zu verhindern, war gekommen. Seit 1903 ist die Revision gesetzlich verankert.

Gesetzlich wurde die Revision in Österreich bereits im Jahr 1903 in einem eigenen Revisionsgesetz verankert. Ursprünglich hatte der Nö.Landesausschuss eine Kontrollfunktion über die Genossenschaften wahrgenommen, doch ab dem Jahr 1926 lag das Revisionsrecht über die landwirtschaftlichen Genossenschaften bei der Landwirtschaftskammer. Dies war insofern äußerst stimmig, zählt doch die Förderung des Genossenschaftswesens zu den Kernaufgaben der Kammer. Diese sah sich demnach nicht nur als Kontrolleur der Genossenschaften, sondern auch als deren Förderer. Nach dem Anschluss kam es im Jahr 1938 zu einer weitgehenden Neuorganisation der Genossenschaftsrevision in Österreich, die jedoch nach dem Krieg wieder rückgängig gemacht wurde, sodass die Kammer ab dem Jahr 1946 die Revisionsagenden mit großer Überzeugung erneut ausübte. Das tat diese, bis die Revision im Jahr 2002 in einen neugegründeten Revisionsverband ausgegliedert wurde, bei dem auch die Kammer als ein wesentliches Mitglied beteiligt ist und als deren Erstobmann Ök. Rat Rudolf Schwarzböck fungierte, der ja schon davor die Revisionsagenden als Kammerpräsident mitverantwortet hatte.

Die Genossenschaftsrevision gilt auch heute als integrierender Bestandteil des Genossenschaftswesens. Allein schon diese Tatsache zeigt das positive Kontrollbewusstsein des Raiffeisensektors und ist Ausdruck seines Bekenntnisses zu hoher Transparenz und Nachvollziehbarkeit, gepaart mit gelebter Rechenschaftspflicht. Dies sind zweifellos Erfolgsfaktoren, die mit dem Auftrag, für die Mitglieder nachhaltig Nutzen zu stiften, Hand in Hand gehen. Natürlich hat sich die konkrete Revisionsarbeit seit den Zeiten F.W. Raiffeisens grundlegend verändert. Dennoch ist die Grundidee die gleiche: Genossenschaften sind von professionell agierenden, top ausgebildeten, unabhängigen und eigenverantwortlichen Revisorinnen und Revisoren auf Herz und Nieren zu prüfen. Anschließend sind die daraus resultierenden wesentlichen Erkenntnisse den Entscheidungsträgern – unter Hinweis auf ihre persönliche Verantwortung, daraus auch konkrete Schlüsse zu ziehen – klar und deutlich vorzulegen. Dies war bereits zu Zeiten Raiffeisens ein Erfolgsrezept, ist es auch heute und wird es sicherlich auch in der Zukunft sein.

Ausblick

Genossenschaften haben sich seit ihren Anfängen stark weiterentwickelt und bewiesen in der Corona-Pandemie eine beeindruckende Resilienz. Ihre Mitgliederorientierung, Regionalität, Entscheidungsfähigkeit und Unterstützung durch Zentralorganisationen machen sie zu robusten und anpassungsfähigen Strukturen, die auch in Zukunft erfolgreich sein werden.

Auch wenn die Corona-Pandemie nicht vorbei ist, kann man mit Fug und Recht konstatieren, dass die meisten Genossenschaften, aber auch die Genossenschaftsbewegung insgesamt, diese Krise nicht nur irgendwie überstanden haben, sondern in dieser Krise gewissermaßen zu ihrer Höchstform aufgelaufen sind. Was die Frage aufwirft, warum gerade Genossenschaften in dieser Krise eine erstaunliche Resilienz bewiesen haben, die dadurch gekennzeichnet ist, dass eine Organisation aus einer Belastungssituation gestärkt und nicht geschwächt hervorzugehen.

  • Genossenschaften als Krisenvehikel: Dass Genossenschaften erfolgreiche Krisenvehikel sind, ergibt sich bereits aus ihrer Geschichte, das steht gleichsam in ihren Genen geschrieben. Für Friedrich Wilhelm Raiffeisen waren gerade Genossenschaftsgründungen die Antwort auf fundamentale ökonomische Krisen. Genossenschaften sind also Kinder der Krise, auch wenn sie ihre Bedeutung natürlich nicht nur in Krisensituationen unter Beweis stellen.
  • Mitgliederorientierung: Sowohl die Verantwortungsträger in den Genossenschaften als auch die Mitarbeiter wissen sich ihren Mitgliedern (als Eigentümer) und Kunden in besonderer Weise verbunden und sehen sich als Dienstleister.
  • Regionalität: Die Regionalität und damit die relative Kleinstrukturiertheit der Genossenschaften ermöglicht diesen sehr flexible Reaktionen. Ein Faktum, welchem gerade in Krisen besondere Bedeutung zukommt, wenn die bisher geübte und erprobte Praxis von einem Moment auf den anderen über den Haufen geworfen werden muss.
  • Entscheidungsfähigkeit: Entscheidungen können in Regionalgenossenschaften meist sehr kurzfristig getroffen werden. Doch nicht nur die Geschwindigkeit des Treffens von Entscheidungen ist in Krisen besonders relevant, auch die Tatsache, dass in solchen Situationen Entscheidungen oft unter erheblicher Unsicherheit getroffen werden müssen und dass Entscheidungsträger dabei ein nicht unwesentliches persönliches Risiko auf sich nehmen, darf nicht unerwähnt bleiben.
  • Unterstützung durch Zentralorganisationen: Nicht zuletzt ist darauf hinzuweisen, dass Primär-Genossenschaften durch die Zentralorganisationen eine Dimension an Unterstützung erfahren, die Organisationen in vielen anderen Gesellschaftsformen nicht zugänglich ist.
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